Frauenstation by Marie Louise Fischer

Frauenstation by Marie Louise Fischer

Autor:Marie Louise Fischer [Fischer, Marie Louise]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: SAGA Egmont
veröffentlicht: 2017-04-20T00:00:00+00:00


Plötzlich brach es aus Thomas heraus: 'Ich habe keinen Vater!'

Sie bereute, das Gespräch auf eine so gefährliche Bahn gebracht zu haben. Aber jetzt gab es kein Zurück mehr. 'Ach, Unsinn!', sagte sie und legte ihm ihre Hand in den Nacken. 'Wer hat dir denn das weisgemacht?! Alle Kinder haben einen Vater.'

'Ich nicht.'

'Das gibt es ja gar nicht.'

'Doch. Ich habe keinen. Und deshalb …' Er schluckte. 'Deshalb lachen mich auch immer alle aus', bekannte er mühsam.

'Dieses Mädchen, dem du die Zöpfe abgeschnitten hast?' fragte Kirsten behutsam.

'Ja, die auch.'

'Haben denn die Schwestern im Kindergarten nie gesagt, daß das gar nicht stimmen kann?'

'Ach, die!' meinte er nur und wandte sich zum Gehen. Er marschierte mit festen, entschlossenen Schritten weiter wie ein kleiner Soldat, und plötzlich erkannte Kirsten, welch ungeheure Last auf diesen geraden Kinderschultern ruhte.

'Schade, daß wir uns nicht früher getroffen haben', sagte sie und machte wieder einmal den Versuch, seine verschwitzte kleine Hand zu nehmen – es gab ihr einen freudigen Stich ins Herz, daß er es sich diesmal gefallen ließ. 'Ich weiß nämlich ganz genau, daß du einen Vater hast … ich kenne ihn sogar.'

'Glaub’ ich dir nicht.'

'Kannst du aber. Hat dir deine Mutter denn nie von ihm erzählt? Oder deine Oma?'

'Nö.'

'Na, so etwas. Sein Name muß sogar in deinem Geburtsschein stehen. Du brauchst ihn dir nur mal von deiner Oma zeigen zu lassen.'

Thomas marschierte neben ihr, und er gab sich sichtliche Mühe, erwachsen und überlegen zu wirken. 'Da war mal ein Mann, zu dem ich Vater sagen sollte. Aber ich wollte nicht. Er hat meine Mutter immer abgeknutscht, und mit mir wollte er so blöde Späße machen. Ich mochte ihn überhaupt nicht.'

'Das war bestimmt nicht dein richtiger Vater …'

Sie hatte den Jungen unmerklich zum Zoo-Restaurant dirigiert. Im Schatten einer mächtigen Ulme fand sie einen freien Tisch, bestellte eine große Portion Frucht-Eis für den Jungen, für sich selber die ersehnte Tasse Kaffee. Sie war froh, das verfängliche Gespräch auf diese Weise abbrechen zu können, und versuchte, ihm all das in die Erinnerung zurückzurufen, was sie zusammen gesehen hatten, erzählte von Affen, Giraffen, Elefanten, Seerobben und Krokodilen. Aber Thomas blieb einsilbig. Er schob einen Löffel Eis nach dem anderen in den Mund und malte gleichzeitig mit dem schmutzigen Zeigefinger der Linken seltsame Figuren auf die weiße Tischplatte.

'Du kennst ihn wirklich?' fragte er ganz plötzlich. Sie wußte sofort, was er meinte, fragte trotzdem:

'Wen?'

'Meinen Vater.'

'Ja.'

'Wie heißt er denn?' forschte Thomas, ohne sie anzusehen.

'Hugo Winterfeld. Er hat … er ist … Rechtsanwalt. Er hat mit dem Gericht zu tun.'

'Aha. Er hat gesessen.'

Sie mußte lachen. 'Nein, Thomas, das nicht. Er verteidigt die Leute, die etwas Unrechtes getan haben und eingesperrt werden sollen. Er sorgt dafür, daß sie freikommen oder möglichst niedrige Strafen bekommen.'

'Ach so.' Die Augen des Jungen leuchteten auf. 'Ist das … interessant?' Er sprach das schwere Wort nicht richtig aus, aber das machte seine Frage noch rührender.

'Doch sehr', sagte Kirsten.

Der Hoffnungsschimmer in den Augen des Jungen war schon wieder erloschen. 'Aber wenn er mein Vater ist … warum heiße ich dann Thomas Franke und



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